23
Aug
2009

»Im Respekt vor der Notiz

gelingt es mir tatsächlich, mich halbwegs zu organisieren: Ein kleines, blumiges Notizbuch für unterwegs, ein weiteres kleines, nur für Zeichnungen, ein großes für unterwegs mit viel Fremdmaterial im Umschlag, eins, um Sätze und Passagen aus Büchern abzuschreiben, die mir nicht gehören, eines für essayistische Ansätze und Fragmente, eins nur für Träume, eins, das meine akkustischen Aufzeichnungen organisiert, sowie einen MiniDisc-Player für die akkustischen Aufzeichnungen. Außerdem jeweils eins für jedes ernsthaft gestartete größere Projekt. Die scheinbar unverhältnismäßig penible Kategorisierung ist nur der Not geschuldet, einer Frage nach der Form. Wie lässt sich was aufzeichnen? Wie fixieren, wie wieder abrufbar machen? // Für nostalgische Notizen empfehlen sich vielleicht diese rosenumrankten Tagebücher zum Abschließen: Man kann die Schlüsselchen danach einfach wegschmeißen und den Inhalt der Seiten begehren, ohne sich mit ihnen konfrontieren zu müssen.«

>>> Mara Genschel: CUT. Die Betrachtung der Dinge in Endlosschleife. Gefragt, geschnitten und editiert von Lisa-Maria Seydlitz. In: Bella Triste 24

Topographie

Ich erobere. Ich sehe die Stadt und verschwinde in ihr. Frankfurt ist für mich erst wenige Wochen alt, die Straßen begehe ich noch suchend, tapsend. Mit jedem Schritt verleibe ich mir das Vektorengeflecht der Straßen, Parks und Hochhausschluchten ein. Die Kinder kicken im Hinterhof, ich bin der Eindringling. Ihre geröteten Gesichter schauen mir halb neugierig, halb feindlich entgegen, ich gehe weiter. Der Hund an der Ecke, die zwei Männer an der Trinkhalle, dort der Junge, der seiner Freundin mit seinem Auto zu imponieren versucht. An der Ampel warte ich auf grün, das habe ich lange nicht mehr getan. Die Sonne wirft inzwischen ein mehr rötliches als gelblich-weißes Licht auf mich herab. Ich blinzel den Reflektionen des großen Flußes aufmunternd zu. Nein, meine Stadt wird das nicht. Aber ich erobere. Langsam. Als ich auf der Brücke über den Fluß schleiche, vorsicht, vorsicht, fährt unter meinen Füßen ein Partyschiff durch. 125 BPM gegen die Wellen. Frankfurt war mal härter. Ich sitze jetzt eine Stunde lang am Fluß im schon feucht werdenden Gras. Licht spenden nur mehr die stinkenden Fackeln der gröhlenden Typen wenige Meter von mir entfernt. Ich beobachte einen jungen Kerl beim Verticken. Ich bekomme angeboten: Gras, Shit, Speed. Die Zigaretten gehen mir aus. Ich werde gebeten um: Kleingeld, Flaschen. Ich beginne den Sound der Stadt zu spüren, ihren Rhytmus zu ahnen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich mit dem Atem der Stadt. Ein. Aus. Ein. Ein. Durch das neonerleuchtete Viertel gehe ich nach Hause. Flaschen fliegen, die Wagen fahren langsamer um den sich auf der Straße Prügelnden Platz zu lassen. Ekel und Faszination. Ich erobere.

...

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