30
Aug
2007

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Es ist ein Irrtum zu glauben, man könne nicht mehr aus der Welt sein. Ich habe das schon auf einigen Reisen festgestellt: Die Mär von der Welt als vernetzem Dorf betrifft doch immer nur die ohnehin bekannten Orte. Spricht man von China, meint man dann landläufig Peking, Guangzhou oder Shanghai, in Nepal ist es Kathmandu, im Kongo Kinshasa und so weiter. Aber jenseits dieser vermutlich wirklichen Weltorte (wo sich Weltempfinden nachfühlen lässt, wo wir, hey Arroganz, so eindrücklich hin kuturexportiert haben), jenseits dieser Stätten des Westlichen also ist halt doch noch immer alles gleich anders. [Alles bleibt anders.]

Vor ein paar Jahren war ich in einer nepalesischen Leprakolonie, die als zentralen Anlaufpunkt einen Coca Cola-Kiosk beherbergte. Aber was sagt das denn schon aus über diese Gegend? Ein Coca Cola-Kiosk am verlassenen Arsch der Welt ist halt zunächst mal und ganz unpathetisch eine Einnahmequelle für Coca Cola und die Inhaber des Kioks. Nichts sagt uns das darüber aus, wie man dort lebt, wer dort lebt, was dort getan werden muss, um am leben zu bleiben. Die klassische kulturkritisch-linke Annahme aber, bereits aus der bloßen Existenz eines solchen Kioskes ließe sich das Übel der Globalisierung ablesen, ist so arrogant wie eurozentrisch und verrät vielleicht mehr über die elende Fortschrittsangst der Linken als über das tatsächliche Empfinden der dort Lebenden.

In einer kulturwisschenschaftlichen Abhandlung las ich einmal über die Rambo-Filme und deren Rezeption. Während diese sich im westlichen Kulturkreis relativ leicht auf Rambo als de-zivilisierten Helden (also ein Held, mit zivilisiertem Ursprung, der diesem nur abhanden gekommen ist) in einer unzivilisierten Umgebung (im Wilden, bei den Wilden) und weitergehend als eine Metapher auf Amerikas noch immer blutende Vietnam-Wunde runterbrechen lässt, wurde die Geschichte bei einem mir entfallenen indigenen Volk als Familiengeschichte gelesen. Rambo mag ein amerikanischer Exportschlager sein, die Geschichte dahinter ist es aber nicht, diese wird immer wieder und von jedem anders beim Betrachten neu geschrieben.

Ich jedenfalls werde jetzt für zwei Wochen aus der Welt sein. Kein Internet, kein Fernsehen. Radio und Zeitung werde ich mir untersagen und sollte während dessen die Welt untergehen, bitte ich, von Anrufen auf mein Handy abzusehen.

25
Aug
2007

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Les Innocents aux mains sales (FR/IT/GER 1976, R: Claude Chabrol)

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Last Exit

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Gin Tonic und Gnocchi mit Salbei-Pesto im Last Exit. A. erzählt von P., der nun schon seit Jahren an der Uni, wesentlich älter ist, als wir es sind und der noch nicht sein Grundstudium hinter sich gebracht hat. Er hat Aussicht auf einen Job bei einem großen Radiosender. Ein Ausweg wäre das, meint A. Aber woraus?

Später gehen wir, es ist viel zu spät geworden, durch die toten Straßen, J. mit Fahrrad, A. und ich zu Fuß. Die Stadt gefällt mir so in diesem Widerspruch am besten: Gebaut, kultiviert, domestiziert und völlig unnütz zu diesen Stunden genehmigt sie sich eine Auszeit, sie atmet kurz auf, bevor sie in ein paar Stunden dann wieder in einen hektischen Mini-Moloch sich zurückwandeln wird. Jetzt wäre die richtige Zeit eine Stadt zu entdecken, eine andere natürlich, eine, die man noch nicht kennt, die man sich noch zu erschließen hat, deren winzigen Gassen und Nebenwege noch nicht zur selbverständlichen inneren Topographie geworden sind.

Wir sprechen über verschiedendste Formen des Zusammenwohnens. A., die mit einer Katze, J., der mit einem Freund und ich, der alleine wohnt. Es endet in Banalitäten zu Putzplänen und ›inneren Ordnungen‹. »We must all compromise, Frank.« – »Bullshit.« (Bullit)

Wir setzen uns noch kurz auf den Platz vor dem großen Behördenkomplex und rauchen. Es ist die perfekte Stille.

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Spannend. William C. Wees über das visuelle System des Films, unsere Wahrnehmung und Dreidimensionalität:

»In effect, the norms derived from perspectivist painting have denied the cinematic image much of what the eye actually sees. Spatially, they exclude virtually everything but the two-degree wedge of space directly in front of the eyes, and psychologically, they avoid the distortions of emotion and idiosyncratic points of view. They place a premium on a measured and cooly analytical approach to image making – what William Ivins calls ›the rationalization of sight.‹ Ivins argues persuasively that ›the forms produced by our modern geometrical perspective are conventions which … are only a loose general rationalization of the actual sense returns of physiological binocular vision.‹ R. L. Gregory has pushed the argument further by insisting, ›In an important sense perspective representations of three dimensions are wrong, for they do not depict the world as it is seen but rather the (idealized) images on the retina. But,‹ he reminds us, ›we do not see our retinal images.‹ We see what the eye’s ›grand scheme‹ derives from the patterns of light falling on the retina.
Therefore, the artist’s and the camera’s representations of the retinal image cannot be the equivalent of what we actually see. ›Indeed,‹ as Gregory wryly remarks, ›it is fortunate that perspective was invented before the camera, or we might have had great difficulty in accepting photographs as other than weird distortions.‹ This may be why some anthropologists have reported that photographs are initially unintelligible to people who have had no experience with pictorial representations of perspective.«

>>> William C. Wees: Light Moving in Time. Studies in the Visual Aesthetics of Avant-Garde Film

2
Aug
2007

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Es gibt wenig Schlimmeres als Menschen, die Musik-PR machen. Sich tagein tagaus mit Musik beschäftigen zu müssen: von mir aus. Aber diese dann – macht man seinen Job richtig – auch ständig penetrant belobhudeln zu müssen, das macht diesen Job so verachtenswert.

Gestern rief wieder jemand einer recht bekannten Musik-PR-Agentur an und bedrängte mich, doch diese eine Band jetzt besonders zu featuren, weil doch das Release-Date naht und dieses Release für die Band ja so wichtig sei und richtig gut sei es auch noch, ach was, ein Meisterwerk sei das und überhaupt schicke er ja auch sonst immer so viel undsoweiter undsofort.

Er wollte doch partout nicht einsehen, dass dieses Stück Musik, was hier lieblos auf eine CD-R gebrannt mit einem schmierigen Waschzettel versehen eintraf, dass diese Single ja nun bestimmt nichts sei, was bei uns laufen würde, dass für dieses Stück Massenkonfektion, freundlich ausgedrückt, nichtmal ein anerkennendes Nicken übrig bleibe.

Er kommt mir fast schon so verzweifelt vor wie die Magazindrückerkolonnen, die mittlerweile durch aggressives Onlinemarketing unterzugehen scheinen: Nimm mir das bitte ab! Und dann wich der Ekel doch einer Art Mitgefühl für diesen Kerl, der wahrscheinlich seit Ewigkeiten keine Musik mehr aus den richtigen Gründen gehört hat: Weil sie schlichtweg bewegt, weil sie Neues erschließt, weil du dir dazu denken kannst »Zu dieser Musik möchte ich sterben«.

Und natürlich weißt du einen Moment später, dass das ja nun Quatsch ist, dass zu keiner Musik es sich zu sterben lohnt, dass dieser Song nicht dein Leben umkrempeln wird, wahrscheinlich sogar, dass dieser Song doch nicht so einzigartig ist, wie du zunächst glauben mochtest. Aber es geht halt um die Momente davor, in denen dich ein Beat, ein Riff, eine Melodie in einen Zustand versetzen, in der all das möglich wäre.

[file under: Tagesgeschäft]
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